In einem früheren Beitrag berichtete ich über eine Entscheidung des Großen Strafsenats des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Jahr 2020, wonach vor Erlass einer Einziehungsentscheidung ein ausdrücklicher gerichtlicher Hinweis gemäß § 265 Abs. 1 Nr. 1 der Strafpozessordnung (StPO) erteilt werden muss, wenn die (mögliche) Einziehung weder in der Anklageschrift noch im Eröffnungsbeschluss erwähnt wird. Wird der erforderliche Hinweis nicht erteilt, ist die Einziehungsentscheidung in der Revision aufzuheben.
Auch der 3. Strafsenat des BGH schließt sich dem an (Beschluss vom 16.10.2024, 3 StR 312/24). Das Gericht muss ausdrücklich auf die Möglichkeit der Einziehung des Wertes von Taterträgen hinweisen, selbst wenn die der Einziehung zugrunde liegenden Tatsachen bereits in der Anklage enthalten sind, die Einziehung aber nicht ausdrücklich erwähnt wird. Es reiche aus, dass sich der Angeklagte bei einem korrekten Hinweis auf die Einziehung möglicherweise erfolgreicher hätte verteidigen können.
Der Bundesgerichtshof (BGH) verwarf mit Beschluss vom 29.10.2024 (Aktenzeichen: 1 StR 58/24) die Revision gegen das zugrundeliegende Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 30.05.2023 (Aktenzeichen: 6 KLs – 1111 Js 18753/21) als unbegründet. Dieses hatte den Angeklagten, bei dem es sich um einen „zugelassenen, derzeit inhaftierten Rechtsanwalt“ handelt, wegen Steuerhinterziehung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und drei Monaten verurteilt.
Formmangel im Zusammenhang mit beA-Übermittlung problematisiert
Der BGH problematisierte zunächst einen möglichen Verstoß gegen § 32d StPO. Nach dieser Vorschrift sollen Verteidiger und Rechtsanwälte den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument übermitteln. Die Berufung und ihre Begründung, die Revision, ihre Begründung und die Gegenerklärung sowie die Privatklage und die Anschlusserklärung bei der Nebenklage müssen sie als elektronisches Dokument übermitteln.
Der Angeklagte – zugelassener Rechtsanwalt – hatte selbst eine Gegenerklärung abgegeben. Diese Gegenerklärung wurde durch einen allein „in der Strafvollstreckung“ mandatierten Verteidiger über dessen (des Verteidigers) besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) an den BGH „zur weiteren Bearbeitung“ übersandt.
Der BGH ließ offen, ob das den Wirksamkeitserfordernissen des § 32d StPO genügt, weil dies nicht entscheidungserheblich war.
Praxis-Tipp
Die elektronische Übermittlung insb. der Revisionsschrift, der Begründungsschrift und der Gegenerklärung (§ 32d S. 2 StPO) ist Wirksamkeitsvoraussetzung. Der Verteidiger muss erkennbar selbst die volle Verantwortung für den Inhalt dieser Schriftsätze übernehmen. Das bloße Weiterleiten von Erklärungen des Angeklagten genügt nicht. Auch an der Mandatierung des Verteidigers für die Revision bestehen Zweifel, weil sich die Mandatierung – warum auch immer – nur auf die Strafvollstreckung bezog.
Unzulässige Vorbefassung nicht hinreichend dargelegt
Mit der vom Angeklagten vorgebrachten Rüge einer unzulässigen Vorbefassung des Landgerichts (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK) hat sich der BGH inhaltlich nicht befasst. Eine Verfahrensrüge dieser Stoßrichtung sei nicht innerhalb der Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO erhoben worden.
Entgegen der Ansicht des Angeklagten resultiere allein aus einer die Besorgnis der Befangenheit begründenden Vorbefassung eines Richters auch kein von Amts wegen zu prüfendes Verfahrenshindernis. Nicht jede (behauptete) Verletzung einer der Garantien des Art. 6 EMRK begründe einen derart schwerwiegenden Verfahrensfehler, der es rechtfertigen würde, das Strafverfahren ohne abschließende Sachentscheidung einzustellen.
Im Übrigen seien bei Besorgnis der Befangenheit eines Berufsrichters die hierfür eröffneten Ablehnungs- und Rügemöglichkeiten gemäß §§ 24 ff., 338 Nr. 3 StPO auch vorrangig auszuschöpfen.
Schuld- und Strafausspruch bestätigt – Einzelfragen zu „Cum-Ex“
Der Schuld- und der Strafausspruch wurde vom BGH bestätigt. Der BGH weist darauf hin, dass im Veranlagungszeitraum 2006 Dividendenkompensationszahlungen nicht der Kapitalertragsteuer unterlagen. Beim Erwerb von Aktien im Wege eines Cum-Ex-Geschäfts wäre Kapitalertragsteuer beim Erwerber daher nur dann anzurechnen, wenn ihm die Abführung der Kapitalertragsteuer auf die originäre Dividende zuzurechnen wäre, weil er schon durch den Abschluss des schuldrechtlichen Vertrags wirtschaftlicher Eigentümer der Aktie wurde. Dies war aber beim Erwerb vom Leerverkäufer im Veranlagungszeitraum 2006 ebenso wenig der Fall wie in späteren Veranlagungszeiträumen.
Die Finanzbehörden hätten auch nicht schon aufgrund einer schlichten Bezugnahme auf § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG bei Abgabe der Körperschaftsteuererklärung erkennen müssen, dass keine Kapitalertragsteuer hätte angerechnet oder erstattet werden dürfen. Hierbei handele es sich aber auch um urteilsfremdes Vorbringen, denn hierzu habe das Landgericht nichts festgestellt.
Praxis-Tipp
Das Revisionsverfahren dient allein der rechtlichen Überprüfung. Dabei ist das Revisionsgericht an den von der Tatsacheninstanz festgestellten Sachverhalt gebunden. Mit neuen Sachverhalt („urteilsfremdes Vorbringen“) wird man nicht gehört.
Revisionsverfahren gegen Einziehungsentscheidung abgetrennt
Darüber hinaus hatte das Landgericht die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 1.084.500 € angeordnet. Die Entscheidung über die auch dagegen gerichtete Revision stellte der BGH jedoch zurück, weil sich anderenfalls die Entscheidung über die anderen Rechtsfolgen der Tat (Strafausspruch) unangemessen verzögern würde. In diesem Fall ist eine Abtrennung des Verfahrens über die Einziehung möglich (§ 422 StPO).
Wer durch eine Straftat – z. B. durch eine Steuerhinterziehung – einen Vermögensvorteil erlangt, bei dem kann dieser Vermögensvorteil abgeschöpft werden (Einziehung). Wer damit nicht einverstanden ist, kann dagegen Rechtsmittel einlegen. Allerdings müssen die jeweiligen Formvorschriften peinlich genau beachtet werden, wie eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 27.11.2024, 1 StR 48/24, deutlich macht.
Revision gegen Einziehung von Taterträgen
Die sog. Einziehungsbeteiligte hatte gegen ein Urteil des Landgerichts Darmstadt Revision eingelegt. Das Urteil ordnete die Einziehung eines Betrags von ca. 300.000 Euro an, der aus mutmaßlichen Taterträgen stammte. Die Revisionsbegründung wurde von der Einziehungsbeteiligten persönlich unterzeichnet.
Formfehler bei der Revisionsbegründung
Ein schwerer Fehler: Die Revisionsbegründung entsprach nicht den Vorgaben des § 345 Abs. 2 i. V. m. § 427 Abs. 1 S. 1StPO. Demnach muss sie entweder von einem Rechtsanwalt unterschrieben oder zu Protokoll der Geschäftsstelle des Landgerichts erklärt werden. Beides war hier nicht geschehen, somit war die Revision unzulässig. Inhaltlich musste sich der Bundesgerichtshof mit der Revision daher gar nicht mehr befassen.
Praxis-Tipp
Auch für Einziehungsbeteiligte gelten die gleichen Formvorschriften wie für Angeklagte. Fehler führen unweigerlich zur Unzulässigkeit von Rechtsmitteln.
Der BGH hat seine Entscheidung vom 08.03.2022, 1 StR 360/21, bestätigt, wonach die Einziehung gemäß §§ 73ff. StGB die Vollendung der Tat (also eine vollendete Steuerhinterziehung) voraussetzt. Der bloße Versuch der Steuerhinterziehung genügt nicht.
„Hinsichtlich der Einkommensteuer für das Veranlagungsjahr 2014 hat der Angeklagte die Steuerhinterziehung jedoch lediglich versucht …, mit der Folge, dass die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB) insoweit ausscheidet.“
Das gilt auch für den Vermögensarrest (§ 111e StPO), der angeordnet werden kann, um die spätere Wertersatzeinziehung zu sichern: Bei lediglich versuchter Steuerhinterziehung scheidet ein Vermögensarrest aus, die Steuerhinterziehung muss vollendet sein.
Da in Steuerstrafverfahren oft mehrere Taten vorgeworfen werden (Bsp.: Einkommen-, Gewerbesteuer- und Umsatzsteuerhinterziehung für mehrere Jahre), wird hin und wieder für alle vorgeworfenen Taten der Vermögensarrest angeordnet, obwohl einzelne Taten – erkannt oder unerkannt – noch im Versuchsstadium „stecken geblieben“ sind. Dann sollte Beschwerde gegen den Vermögensarrest eingelegt werden.
Hat der Straftäter durch die Straftat einen Vermögensvorteil erlangt, soll er diesen nicht behalten dürfen. Der Vermögensvorteil wird ihm wieder weggenommen (Vermögensabschöpfung bzw. Einziehung). Streitig war, ob auch bei einer nur versuchten Steuerhinterziehung eine Einziehung möglich ist.
OLG Celle: Einziehung auch bei versuchter Steuerhinterziehung möglich
Hat der Täter oder Teilnehmer durch eine rechtswidrige Tat oder für sie etwas erlangt, so hat das Gericht zwingend die Einziehung des „Taterlangten“ anzuordnen. Bei der Steuerhinterziehung entspricht das „Taterlangte“ den ersparten (verkürzten) Steuern oder den zu Unrecht erlangten Steuervorteilen. Dies gilt nach der Rechtsprechung jedoch nicht schlechthin, weil die Einziehung an einen beim Täter tatsächlich eingetretenen Vermögensvorteil anknüpft.
Das OLG Celle (14.06.2019, 2 Ss 52/19, rechtskräftig) bejahte in einer – zweifelhaften – Entscheidung eine Einziehung auch bei einer lediglich versuchten Steuerhinterziehung. Das OLG ging in seiner kryptischen Urteilsbegründung davon aus, dass schon die Nichtabgabe einer (Einkommen-)Steuererklärung bei Fristablauf
„einen der Einziehung unterliegenden Vermögensvorteil im Hinblick auf die angefallene Steuerersparnis“
darstelle.
„Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts steht dem die unterbliebene Steuerfestsetzung durch das Finanzamt nicht entgegen.“
BGH: Bei versuchter Steuerhinterziehung (noch) nichts erlangt
Der BGH (08.03.2022, 1 StR 360/21) dagegen erteilte dem OLG Celle in einem anderen Verfahren aber eine deutliche Absage: Das Abschöpfen der ersparten Steueraufwendungen setze
„den Taterfolg, namentlich die zu niedrige oder verspätete Festsetzung (§ 370 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1 AO), voraus; erst damit realisiert sich eine Ersparnis, die ursächlich (… „durch die Tat“) auf die tatbestandsmäßige Handlung zurückzuführen ist … a.A. OLG Celle … das Abstellen auf die Tatvollendung ermöglicht eine rechtssichere und insoweit einfach zu handhabende Vermögensabschöpfung.“
Praxis-Tipp
Eine Einziehung des Taterlangten setzt voraus, dass die Steuerhinterziehung vollendet wurde. Mithin kommt eine Einziehung bei nur versuchter Steuerhinterziehung nicht in Betracht.
In diesem Sinne auch eine Verfügung einer Staatsanwaltschaft vom 09.02.2021 in einem Steuerstrafverfahren, in dem ich als Verteidiger tätig war:
„Absehen Vermögensabschöpfung: Maßnahmen der Vermögensabschöpfung kommen nicht in Betracht, weil es beim Versuch der Steuerhinterziehung geblieben ist. Es wurde nichts erlangt.“
Die Vorschriften zur strafrechtlichen Vermögensabschöpfung – Einziehung und Vermögensarrest – wurden ab 01.07.2017 neu geregelt. Vor dieser Reform spielte die Vermögensabschöpfung im Steuerstrafverfahren kaum eine Rolle, was sich aber grundlegend geändert hat.
Voraussetzung der Einziehung
Hat der Steuerhinterzieher durch eine rechtswidrige Tat oder für sie etwas erlangt, so hat das Gericht zwingend die Einziehung des „Taterlangten“ anzuordnen (§ 73 Abs. 1 StGB). Bei der Steuerhinterziehung entspricht das „Taterlangte“ im Normalfall den ersparten (verkürzten) Steuern oder den zu Unrecht erlangten Steuervorteilen. Insoweit wird gemäß § 73c StGB die Einziehung von Wertersatz angeordnet.
BGH: Keine Einziehung bei erloschener Steuerforderung
Gemäß § 73e Abs. 1 StGB ist die Einziehung ausgeschlossen, soweit der Anspruch des Verletzten – hier: der Steueranspruch des Finanzamtes – bereits erloschen ist. Das Erlöschen von Steueransprüchen regelt § 47 AO, wonach Steueransprüche insb. durch Nachzahlung der verkürzten Steuern, aber auch durch Eintritt der Festsetzungsverjährung (§§ 169ff. AO) erlöschen. Der BGH (24.10.2019, 1 StR 173/19) entschied, dass der Begriff des Erlöschens im Sinne von § 47 AO und § 73e Abs. 1 StGB einheitlich auszulegen ist. Steuerrechtlich verjährte Ansprüche können damit nicht eingezogen werden.
„Nichtanwendungsgesetz I“
Die BGH-Entscheidung aus 2019 ist überwiegend auch schon wieder Rechtsgeschichte. Vor dem Hintergrund von fragwürdigen „Cum-Ex-Geschäften“, bei denen Festsetzungsverjährung droht (oder gar schon eingetreten ist), wurde durch das Zweite Corona-Steuerhilfegesetz mit Wirkung vom 01.07.2020 ein neuer § 375a in die AO eingefügt.
AO § 375a Verhältnis zur strafrechtlichen Einziehung
Das Erlöschen eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis durch Verjährung nach § 47 steht einer Einziehung rechtswidrig erlangter Taterträge nach den §§ 73 bis 73c des Strafgesetzbuches nicht entgegen.
Seit dem 01.07.2020 unterlagen also auch steuerrechtlich verjährte und damit erloschene Steueransprüche der Einziehung. Nach Art. 97 § 34 EGAO galt § 375a AO (n. F.) aber nur „für alle am 1. Juli 2020 noch nicht verjährten Steueransprüche“, nicht dagegen für zu diesem Zeitpunkt bereits verjährte Steueransprüche.
„Nichtanwendungsgesetz II“
Aber auch diese Neuregelung ist schon wieder obsolet. Durch das Jahressteuergesetz 2020 wurden § 375a AO und Art. 97 § 34 EGAO m. W. v. 29.12.2020 wieder aufgehoben. Zugleich wurde in § 73e Abs. 1 StGB ein neuer Satz 2 eingefügt, wonach die Einziehung nicht ausgeschlossen ist „für Ansprüche, die durch Verjährung erloschen sind.“
► Praxis-Tipp
Nach der Übergangsvorschrift in § 316j EGStGB ist die Einziehung bei verjährten Steuerforderungen sogar dann zulässig, wenn die Verjährung bereits vor dem 29.12.2020 eingetreten ist und es sich um eine Steuerverkürzung im großen Ausmaß handelt (Nr. 1 der Vorschrift). Die „Cum-Ex-Geschäfte“ dürften allesamt darunter fallen.
Nach Auffassung des BGH, 28.07.2021, 1 StR 519/20, verstößt die Übergangsvorschrift des Art. 316j EGStGB nicht gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot.
Die Geltendmachung tatsächlich nicht einbehaltener Kapitalertragsteuer auf der Grundlage von Cum-Ex-Leerverkaufsgeschäften ist Steuerhinterziehung. Das entschied der Bundesgerichtshof (BGH) am 28.07.2021, 1 StR 519/20. Zugleich hatte der BGH über die Rechtmäßigkeit einer rückwirkenden Einziehung von Taterträgen zu entscheiden.
Cum-Ex-Leerverkäufe und Steuerhinterziehung
Das Thema „Cum-Ex“ ist komplex. Der BGH entschied in einem speziellen Fall, dass die Geltendmachung tatsächlich nicht einbehaltener Kapitalertragsteuer auf Basis von Cum-Ex-Leerverkaufsgeschäften Steuerhinterziehung darstellt. Es handelt sich um unrichtige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, wodurch ungerechtfertigte Steuervorteile im Sinne von § 370 Abs. 4 S. 2 AO erlangt wurden. Damit bestätigte der BGH die Entscheidung der Vorinstanz (LG Bonn, 18.03.2020, 62 KLs – 213 Js 41/19 – 1/19).
Einziehung auch rückwirkend zulässig
Hat der Straftäter oder ein Dritter (hier: eine Bank) durch die Straftat einen Vermögensvorteil (hier: Kapitalertragsteuererstattung als ungerechtfertigter Steuervorteil) erlangt, dann soll er diesen nicht behalten dürfen. Der Vermögensvorteil wird ihm wieder weggenommen (Vermögensabschöpfung bzw. Einziehung).
Früher war eine Einziehung nicht möglich, wenn die zugrunde liegende Steuerforderung des Finanzamtes schon verjährt war. Das stellte der BGH noch in einer Entscheidung vom 24.10.2019, 1 StR 173/19, klar. Diese Entscheidung ist jedoch überholt. Nachdem überhastet zwei „Nichtanwendungsgesetze“ erlassen wurden, ist seit dem 29.12.2020 eine Neuregelung in § 73e Abs. 1 des Strafgesetzbuchs (StGB) in Kraft, wonach die Einziehung auch „für Ansprüche, die durch Verjährung erloschen sind“, zulässig ist.
Aufgrund der Übergangsvorschrift in § 316j des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB) ist die Einziehung bei verjährten Steuerforderungen sogar dann zulässig, wenn die Verjährung bereits vor dem 29.12.2020 eingetreten ist und es sich um eine Steuerverkürzung im großen Ausmaß handelt (Nr. 1 der Vorschrift). Nach Auffassung des BGH verstößt diese Übergangsvorschrift nicht gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot.
Mit Urteil vom 28.07.2021, 1 StR 519/20, entschied der Bundesgerichtshof (BGH), dass die Geltendmachung tatsächlich nicht einbehaltener Kapitalertragsteuer gegenüber dem Finanzamt auf Grundlage von Cum-Ex-Leerverkäufen den Straftatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt.
In dem BGH-Urteil war u. a. auch die Einziehung von Taterträgen gegenüber einer beteiligten Bank bestätigt worden. Hiergegen hatten Anteilseigner der Bank Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingelegt.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, 22.11.2021, 2 BvR 1872/21), nahm die Verfassungsbeschwerde allerdings nicht zur Entscheidung an. Der eine Beschwerdeführer sei gar nicht beschwerdebefugt. Der andere habe sich nicht mit der entgegenstehenden Rechtsprechung des BVerfG auseinandergesetzt, die zu einem vergleichbaren Fall schon vorliege. Zudem hätten beide Beschwerdeführer nicht dargelegt, dass sie den vorrangigen fachgerichtlichen Rechtsschutz ausgeschöpft haben.
Hat der Straftäter durch die Straftat einen Vermögensvorteil erlangt, soll er diesen nicht behalten dürfen. Der Vermögensvorteil wird ihm wieder weggenommen (Vermögensabschöpfung bzw. Einziehung). Zur Sicherung der Einziehung, die erst bei einer strafrechtlichen Verurteilung angeordnet wird, kann als vorläufige Maßnahme schon im Ermittlungsverfahren der Vermögensarrest angeordnet werden, z. B. durch Kontenpfändung oder Eintragung einer Sicherungshypothek im Grundbuch.
Reform der Vermögensabschöpfung 2017
Mit Wirkung vom 01.07.2017 wurde die Vermögensabschöpfung (Einziehung und Vermögensarrest) reformiert. Bis dahin fristete die Vermögensabschöpfung im Steuerstrafrecht nur ein Schattendasein. Meinecke (DStR 2018, 2387) prophezeite, dass
„der (neue) Vermögensarrest … in Steuerstrafverfahren das Instrument der kommenden Jahre, wenn nicht Jahrzehnte“
ist.
Diese Prophezeiung ist (leider) eingetreten. In den meisten Fällen wird jetzt eine steuerstrafrechtliche Verurteilung mit einer Einziehungsentscheidung verbunden, wenn die hinterzogenen Steuern noch nicht nachgezahlt wurden. Zahlreiche Entscheidungen des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs, der unter anderem die alleinige Zuständigkeit für Revisionen in Steuer- und Zollstrafsachen hat, sind in letzter Zeit zum neuen Einziehungsrecht speziell in Steuerstrafverfahren ergangen.
Anklageschrift schweigt zur Einziehung – Hinweis erforderlich
Zwischen dem 5. und dem 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs war bisher streitig, was gilt, wenn die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft oder der Eröffnungsbeschluss des Gerichts die Einziehung nicht erwähnen. Muss der Strafrichter dann in der Hauptverhandlung einen Hinweis geben, dass er eine Einziehung beabsichtigt? Ist die Einziehungsentscheidung ohne einen solchen vorherigen Hinweis rechtswidrig und in der Revision aufzuheben?
Der Große Strafsenat des Bundesgerichtshofs entschied am 22.10.2020, Az. GSSt 1/20 – im Einklang mit dem 1. Strafsenat und entgegen dem 5. Strafsenat -, dass dieser Hinweis erforderlich ist. Hintergrund ist § 265 der Strafprozessordnung (StPO). Dessen Sinn und Zweck ist es, den Angeklagten vor Überraschungsentscheidungen zu bewahren und eine sachgerechte Verteidigung zu ermöglichen.
Praxis-Tipp
Wird die Einziehung weder in der Anklageschrift noch im Eröffnungsbeschluss erwähnt und erteilt das Gericht auch keinen Hinweis nach § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO, dann wird eine dennoch angeordnete Einziehung in der Revision aufgehoben.
Einnahmen bzw. Umsätze in Form von Bestechungsgeldern unterliegen der Einziehung (§ 73ff. StGB). Da Bestechungsgelder steuerpflichtig sind (vgl. § 40 AO: „Für die Besteuerung ist es unerheblich, ob ein Verhalten, das den Tatbestand eines Steuergesetzes ganz oder zum Teil erfüllt, gegen ein gesetzliches … Verbot … verstößt.“), fallen darauf ggf. Einkommensteuer / Körperschaftsteuer, Umsatz- und Gewerbesteuer an. Auch die hinsichtlich der entstandenen Steuern ersparten Aufwendungen unterliegen der Einziehung.
In solchen Fällen ist zu beachten, dass – neben den erhaltenen Bestechungsgeldern – nicht noch zusätzlich (kumulativ) die ersparten Aufwendungen für die auf die Bestechungsgelder entfallenden Steuern eingezogen werden.
BGH, 10.08.2021, 1 StR 399/20 m. w. N.
„Würde nebeneinander sowohl das aus den Bestechungstaten Erlangte als auch der Wert der ersparten Aufwendungen für die wegen des Zuflusses entstandenen Steuern eingezogen, unterläge ein höherer als der insgesamt zugeflossene Betrag der Einziehung. Solches wäre mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zu vereinbaren, wonach es durch Besteuerung und Vermögensabschöpfung nicht zu einer doppelten Belastung des Täters kommen darf …“
Beispiel (vereinfacht)
Der Beschuldigte erhält 10.000 € Bestechungsgelder, die er in seiner Einkommensteuererklärung verschweigt. Sein individueller Einkommensteuersatz soll 30 % betragen.
Es wäre unzulässig, 10.000 € (Bestechungsgelder) und zusätzlich noch 3.000 € (ersparte Aufwendungen für die verkürzte Einkommensteuer) einzuziehen.